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Herdenimmunität in der Lombardei?

Am 4. Mai 2020 wurden die finalen Ergebnisse der Heinsbergstudie präsentiert. Das Team um Hendrik Streeck ließ u.a. verlauten, dass die Infektionssterblichkeit bei 0,37% läge. Über alle COVID19-Todesfälle hochgerechnet spräche man demnach von ca. 1.8 Mio. Einwohner in Deutschland, die sich bereits mit dem neuartigen Coronavirus infiziert haben müssten. geomarketing.de hat die Hypothese, dass sich eine lokale Untersuchung auf andere Regionen übertragen lässt, eingehender beleuchtet und für die Lombardei in Italien angewendet. Denn dort ist die Sterblichkeit mit Abstand am höchsten. Könnte es demnach sein, dass in der Region bereits die Herdenimmunität erreicht wurde? Oder ist eine Hochrechnung schlichtweg unseriös?

Die Heinsbergstudie

Die Infektionssterblichkeit (IFR) wird in der Studie mit 0,37 Prozent angegeben. Die IFR gibt den Anteil der Todesfälle unter allen Infizierten an, also auch jene positiv getesteten mit eingerechnet, die gar keine Symptome hatten. Wendet man diese spezifische Sterblichkeit auf die bundesweit angegeben Toten von 6.831 (RKI-Lagebericht vom 5.5.2020) an, so die Hochrechnung der Virologen, dann erhält man eine Infiziertenzahl von 1,85 Mio. Einwohnern. Diese Zahl kursiert aktuell so in den Medien. Aus regionalwissenschaftlicher Sicht ist aber die Übertragung einer Stichprobe aus einer ländlichen Gemeinde im äußersten Westens Deutschlands (hier Gangelt im Kreis Heinsberg) auf alle Regionen Deutschlands „schlichtweg nicht anwendbar“. Zu viele Faktoren wie u.a. Altersstruktur, Einwohner- und Baudichte, Grenzeinflüsse erlauben keine generelle, lineare Übertragung aus dem einen Gebiet in ein anderes. infas 360 hat unter Leitung der Data Scientistin Bea Nolte für geomarketing.de die Berechnung dennoch anhand der regional vorliegenden Daten für die Lombardei in Italien gerechnet und überprüft. Wäre also die Heinsberg’sche Formel hypothetisch beliebig übertragbar und was hieße das für den Norden Italiens?

Die Übersterblichkeit in der Lombardei

Das Italienische Amt für Statistik istat.it hat für ausgewählte Gemeinden die Todesfallzahlen der Lombardei vom 01.03. bis 04.04.2020 veröffentlicht. Demnach starben in diesen 5 Wochen dort 19.824 Personen. Das sind 12.576 Todesfälle mehr als zum Vorjahr (7.248) und stellt somit eine deutliche Übersterblichkeit dar (+273%), auf die auch die Pressmeldung der istat.it vom 4. Mai hinweist. Verglichen mit den vorliegenden Gemeindedaten von infas 360 ergibt sich, dass diese ausgewählten Gemeinden nur 72% der gesamten Bevölkerung der Lombardei (10,06 Mio.) darstellen. Linear hochgerechnet erhält man so sogar einen geschätzten Wert von 27.533 Toten bzw. 17.466 „Mehrtoten“ für diese Region. Erstaunlicherweise meldete die Lombardei zum 5. Mai, also 4 Wochen später, offiziell nur 14.389 Corona-Tote (vgl. CORONA Regionalkarte Italien). Am 4. April waren es übrigens sogar nur 8.656 gemeldete COVID19-Todesfälle und damit deutlich zu wenig Todesfälle, was wiederum nur darin begründet sein kann, dass viele Tote gar nicht auf COVID19 getestet wurden.

Herdenimmunität in der Lombardei?

Für die Berechnung eines Durchseuchungsgrad in der Lombardei wird deshalb die Heinsberg’sche IFR von 0,37% zunächst nur auf die Übersterblichkeit angewendet. Obwohl sich selbstverständlich in den allgemeinen Todesfällen auch Infizierte befinden. Nur wissen wir nicht wie viele.
Demnach hätten sich in der Lombardei 4,7 Mio. Menschen infiziert (17.466 Mehrtote geteilt durch 0,0037), was zu diesem Zeitpunkt 46,9% der Bevölkerung entspräche. Dieser Wert wird nun auch für die anderen Toten angesetzt (27.533 – 17.466 = 10.067), was die Sterblichkeit an oder mit COVID19 entsprechend erhöht, nämlich um 4.460 auf 21.962. Damit steigt wiederum rein rechnerisch die Infiziertenzahl auf 5,93 Mio. bzw. 58,9% der Bevölkerung in der Lombardei. Korrigiert man diese Durchseuchung iterativ auf die restlichen Todesfälle erhält man für die Lombardei rund 64%, was einer Herdenimmunität entspräche.

Fazit der Untersuchung

Legt man die gemeldete Übersterblichkeit des Italienischen Amt für Statistik zu Grunde, ergäbe sich bei einem IFR von 0.37% eine Durchseuchung der gesamten Bevölkerung der Lombardei von rund 64%. Man könnte dann von einer Herdenimmunität der gesamten Region sprechen. Da diese aber für den kurzen Zeitraum eine sehr große Zahl darstellt und auch die generelle Anwendbarkeit der IFR aus Heinsberg in Frage zu stellen ist, handelt es sich um eine rein hypothetische, rechnerisch hergeleitete Zahl. Es ist anzunehmen, dass die IFR in der Lombardei viel höher liegt. „Gewissheit erhält man aber nur, wenn man einen repräsentativen Antikörpertest der gesamten Region durchführt“, kommentiert Bea Nolte abschließend die Untersuchung.

Herausgeber

Michael Herter

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