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Tracing von Schülern, dafür aber keine Standortdaten? Eine merkwürdig anmutende Datendebatte bei der Corona-App.

Die Corona-App ist endlich da. Sie traced Kontakte mittels Bluetooth, tracked aber den Nutzer selbst nicht, wo er sich befindet. Dabei haben sich im Vorfeld der Corona-App viele für das Nutzen von Standortdaten ausgesprochen, u.a. auch die Leopoldina (siehe Stellungnahme Seite 7 ) Zu Recht wie die Redaktion der geomarketing.de meint. Denn die Technologie ist seit vielen Jahren erprobt und die Gesundheitsämter wünschen sich neben den Informationen „Wer“ und „Wie lange“ natürlich auch das „Wo“. So sprach sich deshalb auch der Dachverband für Geoinformation, kurz DDGI, klar und deutlich für die Nutzung von Geo-Lokationen in der Corona-App aus (siehe DDGI-Presseinformation).

Corona-App ohne Standortdaten – eine vor allem politisch geprägte Entscheidung

Doch die Politik entschied sich dagegen. Man wolle keine Überwachungs-App, so die Argumentation. „Die anfänglich geplante Nutzung von Standortdaten sei auch nicht wirklich durchdacht gewesen. Auf dieser Basis hätten wir eine erstklassige Überwachungs-App bekommen. Das habe man Spahn wieder ausreden müssen. Damit hat der Minister viel Porzellan zerschlagen und auch Vertrauen verspielt.“, so argumentierte noch jüngst beispielsweise die SPD-Chefin Esken im Handelsblatt.

Fachlich gesehen ist der vielfache Nutzen von Standortdaten nicht von der Hand zu weisen. Die zwei datenschutzrechtliche Lager Pro und Contra spalteten sich vielmehr an der Einwilligung selbst, ob diese für solche Daten weitreichend genug sei oder eben nicht (siehe datenschutzrechtliche Kritik an der Leopoldina-Empfehlung), was sie zweifelsfrei sind. Hinzu kamen die politischen Bedenken, dass einer Überwachungs-App die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung fehle, was dann zu geringeren Anzahl von Nutzern (bzw. Downloads) geführt hätte.

Der Nutzen von Standortdaten ist weitreichender als nur Tracing

Dabei hätten nicht nur die Gesundheitsämter von dem „WO“ profitieren können (siehe Blogbeitrag Lokalisierung von Handy-Daten in der Coronakrise). Der eigentliche Vorteil beim Tracking gegenüber Tracing: Es sind 24/7-Rückschlüsse möglich aufgrund des Standortes einer Person selbst, ohne dabei in Kontakt mit einem (oder vielen) anderen treten zu müssen.

So sind deutliche weitreichendere Analysen z.B. zum Umfeld- und Bewegungsanalysen möglich, die zu mehr Transparenz in der Nachverfolgung und dem Verständnis räumlicher Zusammenhänge von Infektionsherden (Beispiel Schlachtereien und Unterkünfte der Angestellten) führen. Das Identifizieren & Erkennen von wichtigen Standorten wurde politisch aber als „Überwachen“ eingestuft, ohne es dem Nutzer selbst überlassen, ob er zusätzlich die Standortdaten preisgibt oder nicht, was er doch sonst so massenhaft für Kartenanwendungen & Co. macht. Die Datenschützer aus dem PRO-Lager, sahen noch nicht einmal das für notwendig.

Die Einwilligung ist nicht standort- sondern altersabhängig

Die Einwilligung selbst ist altersabhängig. Unabhängig davon, ob Standortdaten oder andere personenbezogene Daten erfasst werden (siehe dazu DSGVO Art. 8). Die EU-Mitgliedsstaaten können das Alter zwischen 13 und 16 Jahren festlegen. In Deutschland ist es 16, in Österreich beispielsweise 14. Damit werden in Deutschland ca. 2,25 Mio. Kinder im Alter zwischen 13 und 15 ausgeschlossen, was die Tracing-App entsprechend einschränkt. Dabei macht sich Frau Esken in dem o.g. Artikel genau dafür stark: Die Nutzung von Handys in der Schule. Was also tun? Aus Sicht der Bundesjustizministerin Christine Lambrecht ist das entgegen der Nutzungsbedingungen der App selbst (ab 16 Jahren) und der DSGVO-Einschränkungen gar kein Problem: Sie empfahl noch im Vorfeld, dass Kinder die Corona-App nutzen sollen. „Selbstverständlich läge aber die Entscheidung in den Familien selbst“. Was hier verkannt wird, ist nicht die Nutzung selbst, sondern die fehlende Entscheidungsmöglichkeit eines Minderjährigen. Spielt man die indirekte Einwilligung der Familie selbst einmal durch: Das Kind installiert die App und kommt in Kontakt mit einem Infizierten. Nun steht das Gesundheitsamt datentechnisch vor folgenden Herausforderungen: Wie stellt man gesichert das Alter des zu Kontaktierenden fest? Darf das Kind überhaupt kontaktiert werden bzw. liegt die zuvor indirekt erteilte Einwilligung gesichert vor? Auf die Herausforderung bei der Einwilligung von Minderjährigen weisen diverse Artikel hin. Ein Terrain, auf dem sich noch keine Massen-App mit angeblich derzeit 9,6 Mio. Downloads (Stand 19.6.2020) bewegt hat.

Ein Fazit aus Geo-Sicht

Führt man sich nun noch einmal vor Augen, dass zum einen Minderjährige die Corona-App über eine indirekte Einwilligung nutzen sollen, aber auf die anonymisierte Nutzung von Standortdaten Erwachsener, die seit Jahren dafür bewusst ihre Einwilligung hinterlassen, verzichtet wurde, dann mutet diese politische Beurteilung sehr merkwürdig an. Was wäre schon dabei gewesen, es einem Erwachsenen zu überlassen, auch bzw. zusätzlich seine Standortdaten für mehr als nur einen guten Zweck zu überlassen? Genau das hat der Deutsche Dachverband für Geoinformation in seiner Stellungnahme unterstrichen: „Möglichst viele Sensordaten, die die heutigen Smartphones bieten, für die Funktion einer Corona-App zu nutzen. In vielen Bereichen der Geoinformation wird daher schon lange auf die Nutzung vieler unterschiedlichen Daten gesetzt, um die Qualität der Analysen und die Zuverlässigkeit der Aussagen damit zu erhöhen.“

Herausgeber

Michael Herter

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